Der Bezirk ist als überörtlicher Träger der Sozialhilfe für die Eingliederungshilfe zuständig, also für die sozialen Leistungen für behinderte Menschen wie Wohnen, Werkstatt, Förderstätten. Diese Leistungen sind bisher gesetzlich untergebracht in der Sozialhilfe. Die Sozialhilfe im SGB XII ist als letztes Auffangnetz für ansonsten in unserem Sozialstaat unversorgte Mitmenschen gedacht. Bevor diese Leistungen ausgezahlt werden, findet eine Anrechnung von Verdienst und Vermögen statt.
Nach modernem Verständnis sind die Leistungen der Eingliederungshilfe jedoch ein Nachteilsausgleich für behinderte Menschen, um ihnen Teilhabe zu ermöglichen, und sollten streng von der Sozialhilfe getrennt werden. Deswegen wird seit Jahren ein Bundesteilhabegesetz gefordert, welches diese Ungerechtigkeit beseitigt und auch mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar ist.
Fünf Grundforderungen werden an dieses neue Gesetz gestellt:
1. Trennung von Fachleistung und existenzsichernden MaßnahmenFachleistung ist der behinderungsbedingte Unterstützungsbedarf und Nachteilsausgleich ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen.Existenzsichernde Maßnahmen sind Grundsicherung, Kosten für Unterkunft, Hilfe zum Lebensunterhalt – alles Maßnahmen der eigentlichen Sozialhilfe, bei denen Einkommen und Vermögen angerechnet werden.
2. PersonenzentrierungDie Maßnahmen der Eingliederungshilfe sollen sich an den Personen und nicht an der Einrichtung ausrichten. Ein Gesamtpaket, wie bisher oft üblich, das jedem behinderten Menschen übergestülpt wird, wird nicht mehr gewünscht.
3. Aufhebung der Unterscheidung von ambulant und stationärDa die Leistung für den behinderten Menschen im Vordergrund steht und nicht mehr die Institution, in der diese erbracht wird, ist auch die Unterscheidung von ambulant und stationär nicht mehr wichtig und wird aufgegeben.
4. Abschaffung MehrkostenvorbehaltBisher galt bevorzugt der Grundsatz, dass Leistungen, die ambulant zu teuer zu erbringen waren, stationär durchgeführt werden müssen – zum Beispiel wenn die Rundumbetreuung eines schwerstbehinderten Menschen zu Hause mit etlichen Betreuern sehr kostspielig wird. Diese Leitlinie soll es nicht mehr geben.5. Wunsch- und WahlrechtDas Wunsch- und Wahlrecht ist auch in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben. Dort heißt es, dass Menschen mit Behinderung das Recht haben, selbst zu entscheiden, wie und wo sie betreut werden, und dass nicht einfach über sie verfügt werden darf.Wir brauchen dieses zukunftsfähige Bundesteilhabegesetz – im Sinne der uns anvertrauten behinderten Menschen und für eine inklusive Gesellschaft. Dieses neue Gesetz muss intelligent eingepasst werden in die gesamte Sozialgesetzgebung. Das ist schwierig, weil die einzelnen Sozialgesetzbücher wie kommunizierende Röhren miteinander zusammenhängen und eine Veränderung an einer Stelle auch eine intelligente Veränderung an anderer Stelle erfordert.
Aktuelle politische Entscheidungen drohen jedoch, dieses Konzept aufzuweichen: Bisher bestand das Junktim, dass bei einem neuen Bundesteilhabegesetz die Kommunen entlastet werden und der Bund Teile der Eingliederungshilfe übernimmt. Das war bei der Finanzreform vor vier Jahren der Kompromiss, dem auch die Bundesländer zugestimmt haben. Doch jetzt werden plötzlich die Kommunen entlastet, indem der Bund ihnen fünf bis neun Milliarden zur Verfügung stellt, die aber nicht mehr an ein neues Bundesteilhabegesetz gebunden sind. So mangelt es an Dynamik, da die Kommunen ihr Geld ja schon haben. Wir befürchten daher, dass es nun möglicherweise kein solches Gesetz mehr gibt oder nur ein sehr schwammiges.
Wir Grüne machen uns auch deswegen Sorgen, weil das Fortführen der bisherigen Vorgehensweise die Kosten für die Eingliederungshilfe weiter ansteigen lässt, ohne Verbesserungen für die betroffenen Menschen und für die Verwirklichung einer inklusiven Gesellschaft zu erzielen. Das wäre wirklich schade und eigentlich eine sozialpolitische Katastrophe!
Wenn Euch die grünen Eckpunkte für ein Bundesteilhabegesetz interessieren, könnt Ihr diese hier einsehen.
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