Welche Folgen hat die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) durch den Deutschen Bundestag und den Bundesrat? – Bericht von Dr. Klaus Hiemeyer von einer Fachtagung am 30. März 2009 in Nürnberg
Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat haben das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Dezember 2008 ratifiziert und ab 26. März 2009 müssen die im Übereinkommen geregelten Menschenrechte befolgt werden. Aus diesem Anlass hat das Bayerische Sozialministerium am 30. März in der Meistersingerhalle eine große Fachtagung abgehalten, aus der ich kurz berichten möchte.
Die BRK gilt als das fortschrittlichste der Instrumente der Vereinten Nationen, die zum Schutz der Menschenrechte erarbeitet worden sind. Im Vordergrund der aus insgesamt Artikeln bestehenden Konvention stehen
- Die Selbstbestimmung behinderter Menschen
- Die Zurückweisung von Aussonderung behinderter Menschen in institutionell organisierte Lebenswelten wie z.B. Heim
- die Sicherung von Barrierefreihei
- die volle Teilhabe (Inklusion) am allgemeinen gesellschaftlichen Leben
Es wird ganz klar formuliert:
- Unterstützung behinderter Personen is no more an act of charity but a human right
- nicht Fürsorge sondern Teilhabe ist das Ziel
- nicht der Behinderte soll sich anpassen an die Gesellschaft, sondern die Gesellschaft soll sich anpassen an den gleichberechtigten Behinderten
Der Menschenrechtsschutz, der mit der Behindertenrechtskonvention gewährleistet werden soll, gilt für alle behinderten Menschen gleichermaßen und differenziert nicht nach Ursache, und Ausmaß der Behinderung. Er gilt für alle Menschen, „die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben“ und damit z.B. auch für altersgebrechliche Menschen.
Der Konvention geht es nicht um „Spezialrechte“ für eine besondere Gruppe von Menschen. Vielmehr bekräftigt und konkretisiert sie ausschließlich die „universellen Menschenrechte“, die jedem Menschen aufgrund seines Menschseins – und daher allen Menschen gleichermaßen – zukommen.
Klaus Lachwitz, Jurist der Lebenshilfe hielt einen sehr beachtenswerten Vortrag, in dem er auf zahlreiche Probleme einging, die mit der Umsetzung der BRK zusammenhängen werden. Sie entstehen durch die Interpretation der Bundesregierung und die deutsche Übersetzung des Vertragstextes. Es gilt aber nicht die deutsche Version, sondern der englische Text – und an dem muss alles gemessen werden.
Deutschland ist der erste große Industriestaat, der die BRK ohne Vorbehalt verabschiedet hat – die Bundesregierung hat dabei den Weg gewählt, die Verabschiedung des BRK mit einer Denkschrift zu verknüpfen. Darin wird jeder Artikel des Übereinkommens vor dem Hintergrund der Rechtslage in Deutschland überprüft. Hier beginnt das Problem. Der Gesamteindruck, der durch eine teilweise sehr einseitige und restriktive Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe erzeugt wird, führt in der Denkschrift mehrfach zu dem Ergebnis, dass der deutsche Gesetzgeber nicht zu unmittelbarem Handeln verpflichtet ist, weil er wesentliche Rechte von Menschen mit Behinderungen angeblich bereits verwirklicht hat.
Drei dieser Probleme sollen exemplarisch herausgegriffen werden
Im Artikel 14 wir u.a. geregelt
- „dass das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt.“
In ihrer Denkschrift vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass geltende Gesetze nicht geändert werden müssen. Sie liest in Art. 14 hinein, „dass eine Freiheitsentziehung auch bei behinderten Menschen nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist.“ Dies sei etwa der Fall „wenn nur mittels der Freiheitsentziehung eine Selbst- oder Fremdgefährdung vermieden werden kann.“ Dem muss man zustimmen, wenn von einem Menschen eine konkrete Fremdgefährdung ausgeht, denn der gefährdete Dritte kann sich darauf berufen, dass die Rechtsordnung sein Recht auf Leben und sein Recht auf körperliche Unversehrtheit schützt.
Die Selbstgefährdung hingegen beruht häufig gerade auf der Behinderung eines Menschen. Ihr soll deshalb nach Art. 14 nicht mit einer Freiheitsentziehung begegnet werden, sondern mit einer angemessenen gemeindenahen Behandlung außerhalb von geschlossenen Einrichtungen. Damit muss etwa die Einweisung in geschlossene Abteilungen völlig neu geregelt werden.
Artikel 19 regelt,
- „dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben.“
Dies gilt wie oben für psychisch Kranke aber z.B. auch für Pflegebedürftige in einem Altenheim. Wohnen daheim statt im Heim entsprechend dem Wunsch- und Wahlrecht muss im Sinne des Art. 19 der UN-Konvention Wirklichkeit werden. Dafür müssen insbesondere die Kostenvorbehalte der Sozialhilfe und der Pflegeversicherung aufgehoben werden – der Wille der Einzelnen gilt, auch wenn Mehrkosten dadurch entstehen. Die Brisanz ist leicht zu erkennen, die in dieser Regelung steckt – und das ist geltendes Recht, das sofort einklagbar ist.
Artikel 24 regelt,
- „dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund ihrer Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden“ dürfen.
Fakt ist, dass in Deutschland nur 12,9 % aller behinderten Kinder im Rahmen des allgemeinen Schulsystems unterrichtet werden. Innerhalb der europäischen Union nimmt Deutschland damit einen der letzten Plätze ein! In ihrer Denkschrift übersetzt die Bundesregierung den im englischen Originaltext verwandten Begriff „inclusive education“ mit dem Begriff der „integrativen Bildung“ und behauptet, „dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung bzw. sonderpädagogischem Förderbedarf im Rahmen integrativer Bildung allgemeine Schulen besuchen können, wenn dort die notwendige sonderpädagogische und auch sächliche Unterstützung sowie die räumlichen Voraussetzungen gewährleistet sind.“ Dies bedeutet nichts anderes, als am herkömmlichen System der Sonderbeschulung festhalten zu wollen.
Bei einem Bildungskonzept, das von dem Begriff „Inclusion“ geprägt ist, muss sich das gesamte Bildungssystem an den Bedürfnissen der Kinder mit Behinderungen orientieren und die Schulen und das ganze System müssen verbindlich umgestaltet werden. Dies ist nach Auffassung vieler Juristen seit 26.3. geltendes Recht!!
Der Prozess der Formulierung der Konvention weltweit war ein jahrelanger Prozeß und auch wir Grünen haben die Positionen schon seit Jahren übernommen – jetzt sind sie Gesetz, das ist ein großer Erfolg. Weiterhin ist aber intensive Kleinarbeit notwendig um das im politischen Alltag zu verwirklichen. Für uns alle schlage ich vor, dass wir nicht mehr den Begriff Integration verwenden, sondern Inklusion – Integration wird assoziiert mit der Anpassung des Behinderten an das vorgefundene Gesellschaftssystem, während Inklusion assoziiert wird mit der Anpassung des Gesellschaftssystem an die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Behinderten.
Von: Klaus Hiemeyer
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